Mit Anthem von Rollenspiel-Kultentwickler Bioware ist kürzlich ein von vielen erwarteter Loot-Shooter erschienen. Das Versprechen der Entwickler: eine packende Story und ein explosives Gameplay in einer offenen Welt, die uns über Jahre unterhalten sollen. Wir konnten das heiß erwartete Anthem ausführlich für euch auf Herz und Nieren prüfen. Ob Anthem die großen Versprechen erfüllen kann oder Bioware sich doch etwas übernommen hat, erfahrt ihr in unserem Test.
Anthem – Eine wunderschöne, aber unfertige Welt
Anthem spielt auf einem Planeten, dessen Erschaffung von Göttern mittels der geheimnisvollen Hymne der Schöpfung begonnen, aber nicht vollendet wurde. Die Menschheit gibt es natürlich trotzdem bereits. Stattdessen sind die Götter einfach mal verschwunden und haben „lediglich“ ihre Werkzeuge der Schöpfung, sogenannte Gestalter-Relikte, zurückgelassen. Dumm nur, dass sich die Hymne der Schöpfung und die Gestalter-Relikte so gar nicht leiden können und daher ständig in Konflikte geraten. Das Ergebnis dieser Konflikte sind neben allerlei gefährlichen Kreaturen, die die Welt von Anthem durchstreifen, sogenannte Kataklysmen. Das sind welterschütternde Ereignisse, die die Welt von Anthem nachhaltig umgestalten sollen. Wer hier allerdings mehr über die Spielwelt wissen will, muss sich dafür die vielen Cortex-Einträge durchlesen. Dort findet ihr Informationen zu allen Aspekten der Spielwelt.
Viele dieser Information sind zwar interessant, wir hätten uns aber dennoch eine stärkere Einbeziehung in die Hauptstory gewünscht. Die Spielwelt von Anthem sieht wirklich fantastisch aus und gerade in den explosiven Gefechten brennt Bioware ein regelrechtes Grafikfeuerwerk ab. Abseits der grafisch eindrucksvollen Präsentation wirkt die Welt von Anthem jedoch irgendwie steril. Das liegt vor allem daran, dass Gegner nicht frei die Spielwelt durchstreifen, sondern erst dann spawnen, wenn ihr kommt. So schön die Spielwelt also auch anzusehen ist, so blutleer wirkt sie leider.
Nun geht es der armen Menschheit in einer solchen Welt natürlich nicht besonders gut. So führen etwa die Menschen im Land Bastion ihr Leben hinter den schützenden Mauern von Fort Tarsis. In Anthem durchstreifen wir bisher nur Bastion, aber im Laufe des Spiels hören wir auch von anderen Ländern. Ob Bioware wohl plant, uns in Zukunft die Reise in diese anderen Länder zu ermöglichen?
Anthem – Wer ist schon Ironman?
Nur wenige Tapfere, sogenannte Freelancer wagen sich durch mächtige Kampfanzüge geschützt in die Welt jenseits der Mauern von Fort Tarsis. Und ihr seid einer von ihnen. In Anthem erfüllt ihr nämlich als Freelancer in einem von vier Kampfanzügen, den Javelins, gefährliche Missionen. Eins galten Freelancer als Helden, doch das ist lang her und es liegt an euch, diesen Ruf zu erneuern. Die Javelins schaltet ihr nach und nach alle frei und könnt daher auch zwischen Missionen den Anzug wechseln.
Die Javelins sind die Klassen in Anthem. Da gibt es den Colossus, einen schwer gepanzerten und heftig austeilenden Krieger. Dann gibt es noch den Ranger, der als Allrounder einen guten Mix aus offensiven und defensiven Fähigkeiten bietet. Der Interceptor ist der schnellste Javelin und vor allem auf den Nahkampf spezialisiert. Zuletzt ist da noch der Storm, eine Art Robomagier. Ja, wirklich. Aber lasst euch durch die pompöse Story-Fassade nicht täuschen.
Anthem – Ausrüstung mit nutzlosen Statuseffekten
Anthem ist ein Loot-Shooter wie er im Buche steht, weshalb sich alles letztlich um die Jagd nach immer besserer Beute dreht. So verfügt jeder Javelin über verschiedene Ausrüstungsslots über die ihr eure Anzüge personalisieren könnt. Zudem könnt ihr euren Javelin natürlich auch optisch anpassen. In Sachen Loot muss Entwickler Bioware allerdings aus mehreren Gründen dringend nachbessern. Zum einen gibt es nur wenige Waffenmodelle, so dass selbst Ausrüstung der höchsten Stufe aussieht, wie eine Standardwaffe vom Anfang. In einem Loot-Shooter wollen wir aber nicht nur durch bessere Ausrüstungswerte belohnt werden. Nein, wir wollen auch dass jeder sehen kann, wie krass wir sind! Zum anderen gibt es leider nach wie vor das Problem, dass Ausrüstung mit nutzlosen Statuseffekten daherkommt. Ein Sturmgewehr mit einem Bonus auf die Schussgeschwindigkeit für Maschinenpistolen bringt uns herzlich wenig, ganz zu schweigen von gar negativen Statuseffekten.
Außerdem müssen wir anmerken, dass das Inventarmanagement trotz der Möglichkeit, Gegenstände als Schrott zu markieren, ziemlich nervt. Denn es dauert jedes Mal geschlagene 2-3 Sekunden, einen Gegenstand als Schrott zu markieren. Da bringt es dann auch nichts, wenn wir nach nervenzerrendem Mikromanagement am Schluss mit einem Tastendruck unseren gesamten Schrott zerlegen können. Es ist in Anthem übrigens auch möglich, eure eigenen Gegenstände zu craften. Einen besonderen Mehrwert gegenüber dem Farmen von Gegenständen konnten wir bislang allerdings nicht feststellen.
Anthem – Über den Wolken…
Das grundlegende Gameplay ist Bioware hingegen sehr gut gelungen. In der offenen Spielwelt fühlt ihr euch wirklich wie ein Superkrieger. Ihr fliegt nämlich mit einem Jetpack mit bis zu 3 Mitspielern durch die Spielwelt, die passend dazu viele vertikale Strukturen bietet. Der Übergang zwischen Fliegen, Laufen und den Kämpfen ist dabei wunderbar flüssig. Dadurch entsteht ein angenehmer Flow, der uns wirklich in die Welt von Anthem eintauchen lässt. Wäre da nicht die Sache mit Fort Tarsis, doch dazu später mehr. Die Kämpfe sind neben der Jagd nach Beute das Kernelement von Anthem. Und hier können wir sagen, dass Bioware ganze Arbeit geleistet hat. Die Gefechte spielen sich herrlich schnell und explosiv.
Die verschiedenen Fähigkeiten der Javelins, aber auch die Angriffe der Gegner verursachen hier regelmäßig so große Effektfeuerwerke, dass bisweilen sogar die Übersicht darunter leidet. Das ist aber angesichts der hervorragenden Präsentation der Gefechte absolut verschmerzbar. Das Gunplay in Anthem sticht nicht besonders heraus, der Fokus liegt aber ohnehin auf den Spezialfähigkeiten der Javelins. Werden diese sinnvoll kombiniert, lassen sich Gegnerhorden mit mächtigen Komboketten spektakulär auseinandernehmen. Zudem verfügt jeder Javelin über einen ultimativen Angriff, den ihr erst einmal durch genügend Kills aufladen müsst. Ist es dann so weit, könnt ihr besonders mächtige Spezialangriffe auf eure Feinde prasseln lassen.
Anthem – Keine großen Herausforderungen?
Die KI der Gegner ist allerdings bestenfalls durchschnittlich. Die Schwierigkeit der Kämpfe entsteht in Anthem eindeutig durch Masse statt Klasse. Außerdem gibt es im Kampf gegen Titanen, das sind besonders starke Gegner, teils unfaire Mechaniken. Dass eine Feuerwand problemlos durch Wände geht, ist schlichtweg unlogisch. Wenn Titanen dann auch noch wie von der Tarantel gestochen mit zielsuchenden Feuerbällen um sich schmeißen, die euren Javelin bei Treffern flugunfähig machen, arten die an sich eindrucksvollen Kämpfe schnell in Frustration aus.
Hier kommt noch ein weiterer Faktor ins Spiel, der in einem Titel wie Anthem, das explizit als Koop-Shooter angelegt ist und euch sogar für das Zusammenspiel mit Anderen belohnt, ziemlich merkwürdig ist. Obwohl nämlich alles auf das Koop-Spiel ausgelegt ist, sind die Möglichkeiten der Interaktion mit euren Freelancerkumpanen äußerst minimalistisch.
Zum Zeitpunkt unseres Tests standen abgesehen vom Sprachchat nur wenige Emotes zur spielinternen Kommunikation zur Verfügung. So können wir etwa nicht einmal um Hilfe rufen, wenn unser Javelin gefechtsunfähig gemacht wurde. Sinkt die Lebensenergie auf null, so endet das Spiel nämlich nicht, sondern eure Kameraden können euch wiederbeleben. Durch die fehlenden Kommunikationsmöglichkeiten mussten wir jedoch regelmäßig mehrere Minuten warten, bis ein Mitspieler uns zu Hilfe kam. Da zu allem Überfluss der Bildschirm in solchen Situationen nur stoisch unseren eigenen Javelin zeigt, langweilen wir uns hier schnell. Zumindest eine Verfolgerkamera unserer Mitspieler hätte es dann schon sein dürfen. Weiterhin empfehlen wir euch auf jeden Fall, Anthem mindestens auf „Schwer“ zu spielen, da die beiden unteren Schwierigkeitsgrade unseres Erachtens viel zu leicht ausfallen.
Anthem – Fort Tarsis: eine unglückliche Designentscheidung
Wie bereits erwähnt, entwickelt Anthem in der offenen Welt einen angenehmen Spielfluss, wenn wir mit unserem Javelin durch die wunderschöne Welt fliegen und einen Gegner nach dem anderen über den Jordan schicken. Leider hat man sich bei Bioware aber unverständlicherweise dafür entschieden, das eigentliche Gameplay strikt von der Story zu trennen. Letztere spielt sich nämlich nahezu komplett in Fort Tarsis ab, das als Story-Hub fungiert. Hier rennen (oder besser schlurfen) wir ständig herum, um mit NPCs zu quatschen und Missionen anzunehmen. Die Qualität der Dialoge an sich ist nicht das Problem, im Gegenteil sind diese oft sogar sehr gut geschrieben. Wir sind aber der Meinung, dass gerade das für seine starken Storys bekannte Bioware hier extrem viel Potential verschenkt.
Denn obwohl wir in den Dialogen oft zwischen zwei Antwortmöglichkeiten wählen dürfen, hat dies nie einen Einfluss auf den Fortgang der Geschichte. Ironischerweise wiegt das aber nicht so schwer, da wir im Koop-Spiel mit Fremden sowieso nur selten die Zeit bekommen, uns die Dialoge überhaupt anzuhören. Da müsst ihr schon mit Freunden spielen. Die dadurch im Grunde letztlich belanglosen Dialoge könnten wir allerdings noch verschmerzen. Viel störender ist, dass wir ständig gezwungen sind, nach Fort Tarsis zurückzukehren, um die Geschichte voranzutreiben und neue Missionen zu erhalten.
Das Spielerlebnis in Anthem wäre schon allein dadurch viel besser, weil flüssiger, wenn wir einfach einen nahtlosen Übergang von Fort Tarsis zur offenen Welt hätten. Stattdessen werden wir regelmäßig aus dem Spielfluss gerissen und müssen bis zu vier Ladebildschirme ertragen, um nach einer abgeschlossenen Mission die nächste beginnen zu können. Bioware schießt sich hier wirklich selbst ins Bein. Wir können nur hoffen, dass Bioware hieran arbeitet und in Zukunft ein flüssigeres Spielerlebnis ermöglicht. Schon allein nach dem Ende einer Mission im Missionsmenü direkt in die nächste Mission starten zu können, wäre eine enorm effektive Verbesserung.
Anthem – Monotones Missionsdesign und der Mangel an Endgame-Content
Dass Loot-Shooter grindlastig sind, ist kein Geheimnis. Nichtsdestotrotz hätten wir uns, gerade von den Rollenspielexperten von Bioware, dennoch ein besseres Missionsdesign gewünscht. Denn allem Spektakel der Gefechte zum Trotz folgt im Grunde wirklich jede Mission demselben Schema. Flieg zu einem Checkpoint, baller da alles weg, flieg zum nächsten Checkpoint, baller da alles weg usw. Die uninspirierte Art und Weise, in der Bioware uns in Anthem eine monotone Aufgabe nach der anderen erledigen lässt, ist für unseren Geschmack selbst für einen Loot-Shooter bestenfalls Mittelmaß. Dass die Entwickler das viel besser können, haben sie bereits selbst mit Star Wars: The Old Republic bewiesen. Insofern sind wir ziemlich enttäuscht, dass Bioware bei Anthem so wenig Wert auf ein interessantes Missionsdesign gelegt hat.
Aber hey, bei einem Koop-Spiel wie Anthem spielt doch sowieso das Endgame die erste Geige. Schließlich soll die Beutejagd noch lange nach Abschluss der Hauptstory unterhalten. Doch auch hier enttäuscht Anthem nach jetzigem Stand. Denn nach Abschluss der mitnichten packenden Hauptgeschichte erwarten erfahrene Freelancer gerade einmal 3 Festungen (die Raids in Anthem), legendäre Aufträge und dynamische Events in der offenen Welt. Das ist einfach viel zu wenig! Vor allem den Festungen mangelt es eklatant an Alleinstellungsmerkmalen. Außerdem versäumen es die Entwickler, sinnvolle Anreize für das Spielen aller Festungen zu setzen. Ihr bekommt nämlich in jeder Festung eigentlich gleich gute Beute. Warum also sollte man sich eine halbe bis ganze Stunde mit Massen von Gegnern herumschlagen, wenn man bequem in 20 Minuten denselben Ertrag bekommt? Auch hier muss Bioware definitiv nachbessern, wenn die Festungen in Anthem kein unwürdiges Schattendasein fristen sollen.
Anthem – Performanceprobleme und Ladezeiten…
Unsere Testversion wurde von diversen Bugs geplagt. Glücklicherweise mussten wir keine Systemabstürze, über die es momentan im Internet zuhauf Berichte gibt, hinnehmen. Dennoch merkt man Anthem deutlich an, dass noch einige Zeit in der Qualitätssicherung sicher nicht verkehrt gewesen wäre. Von Soundbugs über Glitches hin zu verbuggten Missionen oder extrem ärgerlichen Bugs bei der Wiederbelebung bietet Anthem eine breite Palette an Bugs, die den Spielspaß mindern. Bei einem Vollpreistitel dürfen wir mit vollem Recht erwarten, dass er als fertiges Produkt auf den Markt kommt und nicht als „Work in Progress“. Gerade die Abstürze von PS4-Konsolen, über die momentan viel berichtet wird, lassen uns ungläubig unsere Augen reiben. Ein Spiel, dass eine Spielekonsole zum Absturz bringt und womöglich sogar beschädigt, und das im Jahr 2019? Wirklich?!
Anthem – Was bringt die Zukunft?
Wie bereits an einigen Stellen erwähnt, muss man es den Entwicklern von Bioware aber zugutehalten, dass sie kontinuierlich an Updates arbeiten und dabei auch auf das Feedback der Community eingehen. So haben sich die kanadischen Entwickler etwa bereits der oben angesprochenen Loot-Problematik und vieler weiterer Probleme angenommen. Auf inhaltlicher Seite hat Bioware kurz nach Release einen Fahrplan für die nächsten 3 Monate veröffentlicht, in dem die Entwickler neue Inhalte ankündigen. So dürfen wir uns in den kommenden Monaten auf neue Missionen, ein erweitertes Levelsystem, neue Events im Freien Spiel, neue Festungen, neue soziale Features wie ein Gildensystem und schließlich im Mai auf einen Kataklysmus freuen. Wir sind sehr gespannt, ob sich damit im Mai die Spielwelt von Anthem wirklich deutlich verändert, wie es die Entwickler vielfach versprochen haben.
All diese neuen Inhalten erwarten uns im ersten von drei Akten, die im Laufe des Jahres veröffentlicht werden sollen. Mangelt es Anthem also momentan vor allem im Endgame an Inhalt, so dürfte dieses Problem wohl mit künftigen Updates behoben werden. Ärgerlich ist aber, dass schon die Releasefassung viele dieser Inhalte hätte enthalten sollen. So können wir uns kaum dem Eindruck erwehren, ein sowohl technisch als auch inhaltlich unfertiges Spiel zu spielen, das erst durch spätere Inhalte seinen Kaufpreis rechtfertigt. Zumindest fallen für kommende Inhalte keine weiteren Kosten an. Wir jedenfalls sind gespannt, ob es Bioware mit künftigen Inhalten gelingt, das vielversprechende Grundgerüst von Anthem wirklich mit Leben zu füllen.