Mit Greedfall erwartet uns das neueste Spiel des französischen Entwicklers Spiders, das uns ein packendes Rollenspielerlebnis verspricht. Die Einheimischen von Teer Fradee, einer neu entdeckten Insel, sehen sich mit verschiedenen Kolonisatoren konfrontiert, jeder mit seinen eigenen Interessen. Mitten in diesem politischen Wirrwarr sollen wir für Ordnung sorgen. Wie uns der Ausflug nach Teer Fradee gefallen hat, lest ihr im Test.
Greedfall – Stillhalten bitte!
Zu Beginn von Greedfall erstellen wir uns wahlweise einen männlichen oder weiblichen Charakter. Das wird auch stilgerecht als Porträtsession im Palast inszeniert. Neben dem Aussehen unserer Spielfigur mit dem schönen Namen De Sadet entscheiden wir uns auch für eine von drei Spielweisen. In Greedfall gibt es nämlich keine festen Klassen, sondern wir können unsere Spielfigur frei in jede Richtung entwickeln. Bei Levelaufstiegen erhalten wir in verschiedenen Abständen Skill-, Attribut- und Talentpunkte, die wir in die Verbesserung von De Sadet investieren.
Grundsätzlich teilen sich verfügbare Fähigkeiten dabei auf den Nahkampf und den Fernkampf mit Waffen oder Magie auf. Hinzu kommen wahlweise noch Fallen, Granaten oder Unterstützungszauber. Aus all diesen Fähigkeiten können wir uns diejenige Konfiguration rauspicken, die unserer Spielweise am besten entspricht. Greedfall lässt uns hier, ganz in der Tradition echter Rollenspiele, alle Optionen. Das lädt natürlich zum Experimentieren ein. Schade ist nur, dass wir zur Zurücksetzung unserer vergebenen Punkte immer einen Erinnerungskristall benötigen. Und von denen gibt es leider nicht allzu viele.
Greedfall – Unverbrauchte Spielwelt….
Greedfall hebt sich vor allem durch sein ungewöhnliches Setting von anderen Genrevertretern ab. Nach dem recht ausgiebigen Prolog in unserer Heimatstadt Sélène begleiten wir als Gesandter oder Gesandte der Handelskongregation unseren Cousin, den Prinzen Constantin von Orsay, auf die neu entdeckte Insel Teer Fradee. Dieser soll dort das Amt des Governeurs von Neu-Sélène übernehmen, wobei wir ihn unterstützen sollen. Viel wichtiger ist aber die Suche nach einem Heilmittel für eine mysteriöse Seuche, den Malichor, die unsere Heimat plagt. Selbst die eigene Mutter mussten wir sterbend zurücklassen. Wir sind also mehr als motiviert, ein Heilmittel für diese Seuche zu finden.
Seit seiner Entdeckung ist Teer Fradee derweil zum Spielball imperialistischer Interessen verkommen. So werden die Ureinwohner der Insel einerseits Opfer der rücksichtslosen Missionierungsbestrebungen der fanatischen Gläubigen von Thélème, andererseits gehen aber auch die Forscher der Brückenallianz im Namen des Fortschritts über so manche Leiche. Weiterhin gibt es noch die Nauten, die als Seefahrer für alle anderen Fraktionen eine Schlüsselrolle spielen. Schließlich befindet man sich auf einer Insel fernab des Kontinents. Die politische Lage droht beständig zu eskalieren und da kommen wir gerade noch rechtzeitig, um die Wogen zu glätten. Oder schlagen wir uns einfach auf die Seite einer der Fraktionen?
Die Spielwelt von Greedfall punktet mit ihrem unverbrauchten Setting, in dem auf interessante Weise barocke und Fantasy-Elemente zusammengeführt werden. Die Spielwelt ist dabei keine Open-World, sondern teilt sich auf mehrere größere Gebiete auf. Auf den zweiten Blick wird jedoch sichtbar, dass den Entwicklern am Ende wohl die Puste oder die Mittel ausgegangen sind.
Greedfall – …mit mehr Schein als Sein
So gelingt es Spiders zwar zunächst, den Eindruck einer lebendigen Spielwelt zu erwecken. Mit seinen malerischen Landschaften und dem geschickten Einsatz von Lichteffekten kann der Anblick von Teer Fradee dementsprechend einige Male verzücken, auch wenn die Technik angestaubt ist. Das zeigt sich vor allem an der Mimik der Charaktere und matschigen Texturen. Wandern wir dann aber durch die Straßen von Neu-Sélène, stellt sich doch schnell Ernüchterung ein. Denn selbst mittags sind die Straßen nur spärlich gefüllt, die Interaktionsmöglichkeiten mit NPCs mehr als überschaubar. Bleiben ja noch die Städte der anderen Fraktionen, denken wir uns und ziehen weiter.
Als wir dann das erste Mal am Horizont die Häuser von Hikmet, der Hauptstadt der Brückenallianz, erblicken, fühlt sich das fast schon episch an. So eilig wir es haben, die Winkel und Gassen der Stadt zu erforschen, so schnell kehrt große Enttäuschung ein. Denn im Grunde sehen die Städte aller Fraktionen nahezu identisch aus. Und sind auch gleichermaßen unbelebt. Gemessen an dem, was die Städte von außen vorgeben, zu sein und dem, was uns im Inneren erwartet, haben sich die französischen Entwickler ganz klar übernommen. Herausgekommen sind austauschbare Städte ohne Seele, so dass wir uns bald nur noch sprintend durch die Straßen bewegen. Dabei fallen auch die zahlreichen künstlichen Levelbegrenzungen auf. Allzu oft gilt: nur gucken, nicht anfassen.
Greedfall – Da hinten leuchtet doch etwas…
Die Spielwelt verliert aber auch durch weitere Faktoren an Glaubwürdigkeit. Zunächst stehen an jeder Ecke Kisten rum, die eingesammelt werden wollen. Wieso wir aber als Abkömmling eines Adelshauses ständig in Kisten wühlen und uns über 2 Goldstücke freuen sollen, erschließt sich uns nicht. Hier entsteht ein Bruch zwischen unserem Charakter und dem eigentlichen Gameplay, was der Atmosphäre schadet.
Viel schwerer als der Sammelwahn von De Sadet wiegt jedoch das durch die Bank unglaubwürdige Figurenverhalten. So können wir munter alles stehlen, was uns vor die Nase kommt und keinen interessiert‘s. Selbst als wir später im Rahmen einer Mission vor versammelter Mannschaft in private Gemächer eindringen, um einen Schlüssel zu stehlen, passiert…einfach nichts. Hier machen sich die im Grunde gut geschriebenen Charaktere vollkommen lächerlich und lassen jede glaubwürdige Reaktion vermissen.
Greedfall – Monotones Gegnerdesign mit einigen Ausnahmen
Gefühlt gibt es in Greedfall außerdem kaum mehr als 10 Gegnertypen, so dass die Kämpfe gegen Standardgegner sich trotz der coolen Fähigkeiten schnell sehr austauschbar anfühlen. Zudem haben Gegner eine Zone, innerhalb derer sie angreifen. Verlassen wir diese Zone, begeben sich die Monster zurück auf ihre Ausgangsposition. Dort verharren sie dann so lange regungslos, bis wir wieder in ihren Bereich eindringen. Ein solches Monsterverhalten erwarten wir vielleicht in einem MMO, aber bestimmt nicht in einem Spiel wie Greedfall. Die einzige Abwechslung von diesem Einheitsbrei bilden die Bosse und Mini-Bosse. Diese sind hervorragend designt und erinnern schon mal an eine Mischung von Kreaturen aus The Wichter und Remnant: From The Ashes.
Insgesamt kann die Spielwelt somit leider nicht überzeugen. Bisweilen ist sie zwar, gerade in Waldpassagen, recht hübsch anzusehen und das Setting ist erfrischend unverbraucht. Die Klonarchitektur in den Städten und das absolut unglaubwürdige, im Grunde nicht vorhandene Figurenverhalten verhindern jedoch zuverlässig, dass wir uns in dieser Welt verlieren. Die zahlreichen künstlichen Levelbegrenzungen und die wenigen Gegnertypen tun dabei ihr Übriges.
Greedfall – Abwechslungsreiches Questdesign
Die Quests in Greedfall sind hingegen größtenteils gut geschrieben. Vom simplen Monstertöten über die Suche nach Vermissten bis hin zu Arenakämpfen bekommen wir hier viel Abwechslung geboten. In vielen Quests können wir zudem, teilweise auch mehrmals, Entscheidungen treffen, wobei wir uns mehr als einmal in einer moralischen Grauzone wiedergefunden haben. Gut ist auch, dass viele Entscheidungen, anders als unsere Handlungen in der Spielwelt, spürbare Auswirkungen haben. Den Entwicklern von Spiders gelingt es, die meisten Quests in sinnvolle Stories zu verpacken, so dass wir uns selten einfach nur wie ein Laufbursche fühlen. Insbesondere die Hauptstory unterhält dabei mit guten Dialogen und überraschenden Wendungen bei der Suche nach einem Heilmittel.
Greedfall – Hektische Kämpfe mit taktischer Pause
Die Kämpfe in Greedfall spielen sich recht actionlastig und können zumeist ganz gut unterhalten. Je nach gewählter Skillung nehmen wir im Kampf verschiedene Rollen ein und überlassen den Rest unseren Begleitern. Von denen treffen wir im Spielverlauf übrigens 5, doch dazu später mehr. Schade ist aber, dass wir unseren Begleitern keinerlei Anweisungen erteilen können. Wenn diese sich dann auch noch mit dem ewig gleichen Spruch in den Kampf stürzen, arten die Kämpfe bisweilen in unübersichtliche Hektik aus. Abhilfe schafft da klugerweise eine taktische Pause, die wir im Kampf jederzeit aktivieren können. In dieser können wir dann in aller Ruhe unseren nächsten Schritt planen oder Heiltränke schlürfen. Die taktische Pause ist eine gute Idee, die allzu hektische Kämpfe entschleunigt. Könnten wir unseren Begleitern nun auch noch Befehle erteilen, hätten die Kämpfe eine taktische Tiefe wie dereinst Dragon Age: Origins erreichen können. So verschenken die Entwickler leider einiges an Potential, auch wenn die Kämpfe insgesamt immer noch recht unterhaltsam sind.
Greedfall – Ein Gespräch unter Freunden
Richtig punkten kann Greedfall mit den Gefährten. Im Laufe des Spiels schließen sich uns nämlich 5 Gefährten an, passenderweise einer für jede Fraktion. Da wären beispielsweise der Nauten-Kapitän Vasco, die Einheimische Siora oder die Forscherin Aphra von der Brückenallianz. Alle Gefährten haben dabei ihre eigene Persönlichkeit und reagieren dementsprechend auf unsere Handlungen. Töten wir etwa Einheimische im Beisein von Siora, wird ihr das nicht gefallen. Daher müssen wir immer darauf achten, wen wir zu welchen Missionen mitnehmen, damit sich unsere Gefährten nicht, im schlimmsten Fall, sogar gegen uns wenden. Stellen wir uns hingegen gut mit unseren Gefährten, ist neben Gefährten-Quests und Boni für unseren Charakter auch schon die ein oder andere Romanze drin.