Nach den beiden futuristischen Anno-Ablegern kehren die Entwickler von Blue Byte mit dem neuesten Teil von Anno wieder zu den Wurzeln der Serie zurück. Anno 1800 bietet uns damit wieder das klassische Anno-Erlebnis, indem wir eine Inselwelt besiedeln und unsere Siedlungen vom kleinen Dorf zur prächtigen Stadt entwickeln. Wie sich Anno 1800 spielt und ob es trotz der Rückkehr zum alten Setting spielerisch Fortschritte macht, erfahrt ihr in unserem Test.
Anno 1800 – Reif für die Insel
Dieses Mal versetzt uns in Anno in die Zeit der industriellen Revolution. Für diejenigen unter euch, die noch nie etwas von Anno gehört haben, sei das grundlegende Spielprinzip einmal erklärt: Ihr baut Siedlungen auf Inseln und stillt die Bedürfnisse eurer Einwohner. Sind diese anfangs noch relativ überschaubar (so brauchen Bauern zunächst nur Kleidung, Schnaps und Fisch), werden die Bedürfnisse eurer Einwohner mit jeder Bevölkerungsstufe immer komplexer. Bis ihr die höchste der fünf Bevölkerungsstufen erreicht könnt ihr so einige Spielstunden ins Land ziehen.
Die Spielwelt von Anno 1800 sieht einfach fantastisch aus. Die Inseln selbst sind sehr detailliert gestaltet und spätestens, wenn man in eine Siedlung reinzoomt und die Bevölkerung beim Rumwuseln beobachtet, geht jedem Aufbau-Strategiefan das Herz auf. Es ist wirklich beeindruckend, wie viel Leben die Entwickler der Inselwelt einhauchen. Egal wo ihr hinschaut, werdet ihr immer emsige Inselbewohner vorfinden. Anno 1800 hat man wirklich mit viel Liebe zum Detail entwickelt. Schade ist nur, dass es keine Jahreszeiten bzw. Wetterwechsel gibt. Diese hätten das Spielerlebnis nochmals sehr viel immersiver gemacht.
Anno 1800 – Verschiedene Spielmodi
Neben dem absoluten Herzstück, dem Endlosspiel, bietet Anno 1800 noch eine Kampagne und einen Multiplayer. Die Kampagne, die sich um die Erben einer Händlerdynastie dreht, überrascht anfangs mit einem für das Genre sehr guten Storytelling. Im Verlauf der Kampagne flacht dieses jedoch zusehends ab, bis die Kampagne schlussendlich vorschnell endet, bevor es wirklich interessant wird. Die Kampagne ist daher letztlich eher ein ausgedehntes Tutorial als ein wirklich fesselnder Spielmodus. Szenarien wie in anderen Anno-Teilen vermissen wir hier übrigens.
Anders sieht es da schon beim Multiplayer aus. Mit Freunden (oder Fremden) zusammen eine Runde im Endlosmodus zu spielen, kann schon sehr unterhaltsam sein. Allerdings dauern die Partien in der Regel recht lange, was natürlich am Genre liegt. Da sich aber auch Multiplayerpartien speichern und später fortsetzen lassen, ist uns das kein besonderer Dorn im Auge.
Anno 1800 – Nur noch ein bisschen optimieren…
So oder so bildet der für Anno typische Endlosmodus das Herz des Spiels. Hier entwickeln wir unsere Siedlungen. Der Endlosmodus bietet eine Vielzahl an Einstellungsmöglichkeiten, um das Spiel den eigenen Bedürfnissen anzupassen. Von der Inselgröße über die Verfügbarkeit von Rohstoffen bis hin zur Anzahl der KI-Mitspieler und den Siegbedingungen lässt sich das Spielerlebnis umfassend individualisieren.
Wie bereits erwähnt, gibt es in Anno 1800 eine steile Entwicklungskurve. Wo wir anfangs die Bedürfnisse unserer Bevölkerung noch mit Leichtigkeit stillen können, steigt die Komplexität bei der Produktion benötigter Waren mit jeder Bevölkerungsstufe rasant an. Ein Beispiel: Die Produktion von Fisch benötigt nur eine Fischerei. Die Produktion von Brot für die zweite Bevölkerungsstufe (Arbeiter) benötigt hingegen bereits eine Weizenfarm, eine Mühle und eine Bäckerei. Auf höheren Bevölkerungsstufen wird die Produktion von Waren dann noch mal komplexer. Neu ist zudem, dass Bedürfnisse in Basis- und Luxusbedürfnisse aufgeteilt werden. Erstere müssen befriedigt werden, damit unsere Einwohner zur nächsten Bevölkerungsstufe aufsteigen können. Luxusbedürfnisse müssen dafür nicht erfüllt werden, steigern aber die Zufriedenheit unserer Bürger und damit u.a. unsere Einnahmen.
Trotzdem wäre all das letztlich immer noch zu leicht, könnten wir alle Waren auf einer Insel produzieren. Das geht aber natürlich nicht. Stattdessen müssen wir bei unseren Produktionsketten auch die Fruchtbarkeiten bzw. Rohstoffe unserer Insel berücksichtigen. Auf einer Insel ohne Fruchtbarkeit für Weizen wird auch mit 10 Weizenfarmen keiner wachsen. Dieser Umstand zwingt uns also früher oder später dazu, unser Territorium zu erweitern und weitere Inseln zu besiedeln. Das wiederum bedeutet, dass wir auch ein funktionierendes logistisches Netz brauchen, damit die Waren auch dort ankommen, wo man sie braucht. Damit all das nicht in nerviges Mikromanagement ausartet, geben uns die Entwickler einige Komfortfunktionen an die Hand. So werden Waren beispielsweise inselweit gelagert oder ihr bekommt im späteren Spielverlauf die Möglichkeit, Arbeitskräfte über mehrere Inseln hinweg zu organisieren. Wir hätten uns allerdings auch Produktionsübersichten gewünscht, da gerade im späteren Spielverlauf gern mal die Übersicht über unsere Betriebe flöten geht.
Anno 1800 – Jeder ist wichtig
Wer frühere Anno-Teile gespielt hat, kennt das. Ist die Siedlung erst einmal zur beeindruckenden Stadt ausgebaut und alle Bedürfnisse der Bürger gestillt, kann das süße Leben beginnen. Wohlhabende Bürger, deren Frühstück aus Kaffee und Kuchen besteht, gehen frohgemut zur Arbeit…und hacken Holz. Was in den meisten früheren Ablegern der Serie stets unlogisch war, wird in Anno 1800 durch das Arbeitskraftsystem geradegebogen. Denn in Anno 1800 benötigen Betriebe verschiedene Arbeitskräfte.
So benötigen z.B. landwirtschaftliche Betriebe Bauern, während etwa eine Bäckerei Arbeiter benötigt. Ihr könnt also nicht einfach eure gesamte Bevölkerung auf die höchste Stufe ziehen und beobachten, wie der Rubel rollt. Stattdessen verlangt Anno 1800 eine clevere Bevölkerungspolitik von euch, damit eure Wirtschaft nicht den Bach runtergeht. Das ist einfach nur super und sorgt ganz nebenbei dafür, dass eure Städte wirklich realistisch aussehen und nicht nur eine Ansammlung superreicher Snobs darstellen, die dann aber trotzdem die Ärmel hochkrempeln und auf den Feldern ackern.
Anno 1800 – Expeditionen und weitere Aufträge
Im Laufe des Spiels werdet ihr auch regelmäßig Aufträge erhalten. Diese reichen vom simplen Fotoaufgaben über klassische Lieferaufträge bis hin zu Suchaufgaben. Erfüllt ihr eine solche Aufgabe, winkt jedes Mal eine Belohnung in Form von Münzen oder Waren. Eine besondere Rolle spielen dabei die sogenannten Expeditionen. Hier schickt ihr eines eurer Schiffe auf die Reise in weit entfernte Gebiete. Im Laufe einer Expedition ereignen sich dann Zwischenfälle, auf die ihr reagieren müsst. Je nach Ausrüstung und Mannschaft eures Schiffs habt ihr dann mehrere Optionen, auf eine Situation zu reagieren. Ist eine Expedition erfolgreich, erhaltet ihr exotische Güter wie etwa Elefanten, doch dazu später mehr.
Anno 1800 – Auf in die Neue Welt
Während eure Bevölkerung sich entwickelt, werden ihre Bedürfnisse immer spezieller. Dies geht so weit, dass ihr diese mit den Ressourcen eurer europäischen Inselwelt gar nicht mehr stillen könnt. Denn wo soll dort bitte Kaffee angebaut werden? Die Lösung liegt aber auf der Hand: Kolonialismus! Durch eine Expedition schaltet ihr nämlich die Neue Welt frei, die ihr natürlich sofort besiedelt. Das ist ab einem gewissen Spielfortschritt auch unumgänglich, da bestimmte Güter nur dort produziert werden können. Und wenn ihr es nicht gerade darauf anlegt, übermüdete Einwohner zur Arbeit schlurfen zu lassen, dann besorgt ihr diesen lieber schnell ihren Kaffee! Manche Dinge ändern sich wohl doch nie.
Das Spiel läuft in der Alten und in der Neuen Welt (wie bei den Sessions in Anno 2205) parallel ab, wobei ihr aber jederzeit ohne Ladezeiten zwischen beiden wechseln könnt. In der Neuen Welt erwarten euch zwei Bevölkerungsstufen mit ihren eigenen Bedürfnissen. Die Inseln der Neuen Welt bieten dabei wesentlich weniger Bauplatz, weshalb hier planerisches Geschick nötig ist, um den vorhandenen Bauplatz optimal zu nutzen. Umso befriedigender ist es dann, wenn eure ersten Transportschiffe voll beladen mit Kaffee, Tabak und vielen weiteren Sachen, die das Leben schöner machen, in der Alten Welt ankommen und die Bedürfnisse eurer mittlerweile verwöhnten Insulaner gestillt werden können.
Anno 1800 – Auf in ein neues Zeitalter!
Ist ja alles schön und gut bisher, aber wo bleibt bitte die versprochene industrielle Revolution? Tatsächlich hält diese erst mit der vierten Bevölkerungsstufe, den Ingenieuren, Einzug in Anno 1800. Sobald nämlich die ersten Ingenieure in eurer Stadt wohnen, erhaltet ihr die Möglichkeit, Elektrizität zu produzieren. Daneben, dass Einwohner der vierten und fünften Bevölkerungsstufen nach Elektrizität verlangen, erhöht diese die Produktivität eurer Betriebe auch auf satte 200%. Allerdings ist es gar nicht so leicht, eure Stadt zu elektrifizieren. Denn zunächst einmal braucht ihr dafür Öl, von dem ihr auf eurer Hauptinsel mit Sicherheit nicht genug haben werdet. Dann muss das Öl zu einem Ölhafen transportiert werden, was nur über die Eisenbahn geht.
Richtig, in Anno 1800 könnt ihr erstmals in der Serie Eisenbahnen bauen! Ebenso muss das Öl dann vom Ölhafen per Eisenbahn zu euren Kraftwerken transportiert werden. Diese können weiterhin nur Gebäude in ihrem Einflussbereich mit Strom versorgen. Die Versorgung eurer Stadt mit Strom erfordert also eine umfassende Umstrukturierung eurer Stadt, um Platz für Gleise und Kraftwerke zu schaffen. Hierbei ist es sehr hilfreich, dass wir auf Wunsch Gebäude kostenlos versetzen können. Nichtsdestotrotz ist der Aufwand groß, aber lohnt sich auch. Denn sind eure Betriebe erstmal mit genügend Strom versorgt, explodiert deren Produktivität geradezu. Wart ihr zuvor stets mit Knappheit konfrontiert, habt ihr danach eher Probleme mit vollen Lagern. Schade ist hierbei aber, dass außer Öl keine weiteren Waren per Eisenbahn transportiert werden können. Insgesamt wird die industrielle Revolution aber schön ins Spielerlebnis eingebaut und fordert euer gesamtes Geschick als Stadtplaner.
Anno 1800 – Schönheit oder Effektivität?
Der Tourismus spielt in Anno 1800 ebenfalls eine wichtige Rolle. Mehrere Faktoren wie beispielsweise die Umweltverschmutzung auf eurer Insel oder das kulturelle Angebot beeinflussen, wie attraktiv eure Insel für Besucher ist. Mehr Besucher bedeuten natürlich mehr Geld. Die kulturelle Attraktivität lässt sich massiv über den Zoo und das Museum steigern, die beide modular erweiterbar sind. Zoologische bzw. archäologische Expeditionen liefern euch Tiere bzw. Exponate, die ihr dann ausstellen könnt. Wer keine Lust auf langwierige Expeditionen hat, wird auch bei einem der Händler in der Inselwelt fündig. Dafür müsst ihr dann aber auch entsprechend tief in die Tasche greifen. Der Tourismus stellt eine nette Alternative zum ewigen Kreislauf von Siedlungsbau und -optimierung dar. Angesichts der eher niedrigen Einnahmen ist dieser aber eher eine Ergänzung des eigentlichen Gameplays.
Anno 1800 – Fake News und Buffs
Ein weiteres Gameplay-Element, das uns sehr gut gefällt, ist die Zeitung. Während des Spielens wird nämlich regelmäßig eine Zeitung veröffentlicht, die unsere Bürger über die jüngsten Entwicklungen informiert. Da der Redakteur der Zeitung weiß, wer das Sagen hat, dürfen wir die Zeitung stets lektorieren, bevor sie in den Druck geht. Hinter diesem schönen Wort verbirgt sich natürlich nichts anderes als Zensur bzw. Manipulation. Aber hey, was tut man nicht für alles für die Zufriedenheit seiner Schützlinge? Über die Zeitung können wir so Einfluss auf die Zufriedenheit unserer Bürger, die Produktivität unserer Betriebe und unsere Steuereinnahmen nehmen. Änderungen kosten dabei Einfluss, der neben Geld die zweite Währung in Anno 1800 ist.
Eine weitere Möglichkeit der Beeinflussung stellen Buffs dar. So erhalten oder kaufen wir im Laufe des Spiels Charaktere mit bestimmten Eigenschaften, die wir in speziellen Gebäuden (z.B. Rathaus, Hafenmeisterei) ausrüsten können, um bestimmte Boni zu erhalten. Auch erwähnenswert sind hier Stadtfeste, die eure Bürger bei ausreichender Zufriedenheit veranstalten. Diese sind nicht nur nett anzusehen, sondern gewähren euch ebenfalls Boni. Anno 1800 bietet damit eine ganze Bandbreite an Möglichkeiten, um aus euren Betrieben wirklich noch das letzte bisschen Produktivität herauszukitzeln.
Anno 1800 – Kriege und Diplomatie
Militärische Auseinandersetzungen beschränken sich bei Anno 1800 auf Seegefechte. Diese spielen sich jedoch nicht besonders anspruchsvoll, denn in der Regel hetzen wir einfach unsere Schiffe auf die feindlichen Schiffe und warten dann ab, bis diese versenkt sind. Außerdem können bei Inseln nur die Häfen durch unsere Flotte angegriffen werden. Insgesamt spielen militärische Auseinandersetzungen eine kaum beachtenswerte Rolle in Anno 1800. Bei der Diplomatie sieht es leider auch nicht viel besser aus. Die Möglichkeiten, mit KI-Spielern zu interagieren bleiben letztlich ziemlich beschränkt, wodurch auch die Diplomatie eher ein Schattendasein fristet. Zwar liegt der Fokus bei Anno traditionell auf dem Aufbau bzw. der Entwicklung eurer Siedlungen, dennoch hätte gerade die Diplomatie mehr Tiefgang vertragen.