Lange Zeit war es im Bereich der Echtzeitstrategie ziemlich ruhig. Eine der wenigen Ausnahmen bildete Iron Harvest, das am 01. September 2020 nach langer Wartezeit endlich für den PC erschienen ist. Das fiktive Szenario der 1920er, in dem 3 Fraktionen einander mithilfe mächtiger Mechs bekämpfen, klang schon bei der Ankündigung vielversprechend. Umso neugieriger waren wir, ob Iron Harvest endlich die Flaute in der Echtzeitstrategie beenden kann. Die Antwort auf diese Frage findet ihr im Test.
Iron Harvest – Nach dem Krieg ist vor dem Krieg
Iron Harvest spielt in einer alternativen Version der 1920er Jahre. Der 1. Weltkrieg ist gerade erst vorbei und wurde mithilfe brutaler Mechs geführt, die die Schlachtfelder erbarmungslos verwüsteten. Die 3 vom Krieg gebeutelten Nationen Rusviet, Polania und Saxony versuchen, sich davon zu erholen und geraten dennoch gleich wieder in politische Konflikte. Es scheint so, als ob der nächste große Krieg schon wieder kurz bevorstünde. In dieser hochgeladenen Atmosphäre beginnt die Kampagne von Iron Harvest, die etwas mehr als ein Dutzend Missionen umfasst.
In der Kampagne von Iron Harvest spielen wir nacheinander alle drei Fraktionen. Die Regie ist dabei stets bemüht, eine spannend inszenierte Geschichte zu erzählen. So lernen wir in jeder Fraktion bestimmte Schlüsselfiguren kennen, die wir auch als Einheiten im Kampf befehligen können. Jede dieser Figuren, seien es der altgediente saxonische Kommandant Gunter von Duisburg oder die polanische Widerstandskämpferin Anna Kos, wird dabei in die Geschehnisse rund um eine geheime Organisation namens Fenris verwickelt, die allem Anschein nach einen neuen Krieg vom Zaun brechen will.
Die Geschichte von Iron Harvest punktet insgesamt mit einer düsteren Inszenierung menschlicher Abgründe im Angesicht des Krieges. Dabei vermeiden die Entwickler eine simple Schwarz-Weiß-Zeichnung der Fraktionen. Weder den Rebellen Polanias noch den Truppen der Rusviets oder Saxonen möchte man vorbehaltlos zujubeln oder sie kompromisslos verdammen. Jede der Fraktionen hat ihre Licht- und Schattenseiten und ist auch intern zerstritten, was das Szenario authentischer macht.
Iron Harvest – Maschinelles Töten…
Die erfrischend motivierende Inszenierung der Kampagne sorgt zwar dafür, dass wir wissen wollen, wie die Geschichte rund um die 3 Fraktionen und die Organisation Fenris endet. Da es sich bei Iron Harvest aber dennoch um ein klassisches Echtzeitstrategiespiel handelt, spielt das Gameplay selbst natürlich die Hauptrolle.
Hinsichtlich unserer Truppen stehen uns einerseits Infanterie sowie andererseits verschiedene Mechs zur Verfügung. Fußtruppen sind in Iron Harvest allerdings sehr flexibel, da sie jederzeit die Bewaffnung wechseln können, indem sie in der Spielwelt verstreute oder von Feinden fallengelassene Waffen aufnehmen. Mit der Truppenvielfalt ist es bei der Infanterie indessen nicht weit her, so stehen uns kaum mehr als eine Handvoll Einheitentypen zur Verfügung, die sich quer über alle Fraktionen auch ziemlich gleichen.
Natürlich spielt die Infanterie neben den monströsen Mechs auch klar die zweite Geige. Hier steht uns nämlich eine viel größere Vielfalt von Einheitentypen zur Verfügung. Neben recht klassischen Panzern werfen wir auch mächtige Schlachtläufer oder Nahkampfmechs in die Schlacht. Auch die Fraktionen unterscheiden sich in Hinblick auf die Mechs deutlicher voneinander. Während die Saxonier etwa auf relativ langsame Mechs mit großer Durchschlagskraft setzen, ziehen die Rusviets lieber mit mobilen Artillerie-Mechs mit mittlerer Reichweite in die Schlacht. Die Rebellen Polanias hingegen nutzen gern wendige Mechs, können aber auch mit gewaltigen Mechs aufwarten.
In den Gefechten stehen wir oft unter Spannung, weil wir nie wissen, wann der Gegner uns das nächste Mal seine Truppen entgegenwirft. Insgesamt ist das Tempo in den Gefechten recht hoch und wir müssen regelmäßig zeitgleich an mehreren Fronten kämpfen, was schnelle Reaktionen und eine gute Übersicht erfordert.
Das Missionsdesign ist dabei oft mehrstufig und präsentiert uns größtenteils klassische Ziele wie die Eroberung einer Basis oder die Zerstörung bestimmter feindlicher Einheiten. Hin und wieder sehen wir uns aber auch mit nur einer Handvoll Einheiten oder sogar allein mit einer absoluten Übermacht konfrontiert und müssen heimlich vorgehen. Insgesamt sorgt das Missionsdesign so für eine angenehme Abwechslung in der Kampagne.
Iron Harvest – …mit einigen Hindernissen
So spaßig die Gefechte insgesamt sind, so gibt es jedoch einige Probleme bzw. verschenktes Potential, was Iron Harvest daran hindert, ein großartiges Spiel zu sein. Zunächst stellen sich unsere Einheiten, aber auch die Gegner-KI öfter mal nicht besonders klug an. Besonders die Infanterie, die auf den von Mechs verunstalteten Schlachtfeldern sowieso schon latent im Nachteil ist, leistet sich einige grobe KI-Schnitzer. So haben Infanteristen scheinbar eine seltsame Vorliebe für offenes Gelände, weshalb sie oftmals ohne unseren Befehl ihre Deckung verlassen, nur um dann als Kanonenfutter zu enden. Auch das Deckungssystem ist nicht gerade über jeden Zweifel erhaben. Vielmehr sind Treffer öfter mal nicht nachvollziehbar.
Aber auch bei den Mechs ist noch längst nicht alles Gold, was glänzt. Ebenso wie die Infanterie leiden diese nämlich oft an Wegfindungsproblemen, wodurch sich regelmäßig Blechstaus bilden. Der unausgereiften Wegfindung ist es auch zu verdanken, dass unsere Befestigungen wie Sandsäcke oder Stacheldraht dauernd von unseren eigenen Mechs zertrampelt werden. Demgegenüber ist es zwar löblich, dass Mechs am Rücken weniger stark gepanzert sind, mehrere Trefferzonen pro Mech hätten allerdings für eine größere taktische Tiefe gesorgt.
Sowohl die Infanterie als auch die Mechs reagieren gern mal nicht auf Gegner in nächster Nähe, während unsere restlichen Einheiten längst im Kampf auf Leben und Tod sind, oder verfolgen dann plötzlich allein Gegner über das halbe Schlachtfeld. Diese teils dumme Verhalten unserer Einheiten zwingt uns zu permanentem Mikromanagement.
Weiterhin verpassen es die Entwickler, uns mehr taktische Möglichkeiten an die Hand zu geben. Wir können zwar Wegpunkte markieren, allerdings vermissen wir schmerzlich die Möglichkeit, unsere Einheiten auf Patrouille zu schicken oder ihnen zu befehlen, die Stellung zu halten. Hier wurde das Potential verschenkt, die Schlachten zu einem noch intensiveren und anspruchsvolleren Erlebnis zu machen. Es ist auch schade, dass wir Veteranen-Einheiten nicht mit in die nächste Mission nehmen dürfen. So entsteht keine große Bindung zu unseren Einheiten.
Auch der Basisbau enttäuscht leider. Neben einem Hauptquartier, einer Kaserne und einer Werkstatt für mechanische Einheiten stehen uns nämlich nur einige wenige Verteidigungsbauten zur Verfügung. Insgesamt spielt der Basisbau in Iron Harvest eindeutig eine untergeordnete Rolle, da auch die Ausbaumöglichkeiten unserer Gebäude schnell ausgeschöpft sind.
Iron Harvest – Was kommt nach der Kampagne?
Abgesehen von der insgesamt gelungenen Kampagne bietet Iron Harvest leider nicht allzu viel Beschäftigung. Neben einem Herausforderungsmodus und einigen Gefechten stehen uns im Mehrspielermodus nur 7 Karten zur Verfügung. Zwar machen die recht kurzweiligen Online-Partien durchaus Spaß, allerdings stellt sich aufgrund der wenigen Schauplätze und mangelnder Spielmodi schnell eine Routine ein.
Iron Harvest – Technik
Die Technik von Iron Harvest ist zwar etwas angestaubt und bei genauerem Hinsehen fehlt es gerade bei der Infanterie an Details. Nichtsdestotrotz erschaffen die Entwickler eine dichte Atmosphäre. Denn wenn unsere Mechs aufeinandertreffen, kracht es gewaltig und dabei erwischt es auch gern mal ganze Häuserreihen. Das alles wird von kräftigen Soundeffekten unterstützt. Insgesamt brennt Iron Harvest in großen Kämpfen schon mal ein regelrechtes Effektfeuerwerk ab und vermittelt so ein intensives Schlachten-Feeling.
Während unseres Tests kam es allerdings zweimal zu Bugs, die den Neustart der Mission erforderten. Einmal konnten wir unseren Spielstand aus einer laufenden Mission nicht mehr laden und ein anderes Mal wollte die finale Gegnerwelle partout nicht auftauchen. Da unser Missionsziel die Abwehr eben dieser Welle war, konnten wir die Mission also nicht beenden. Solche Probleme sind besonders ärgerlich, da eine Mission in Iron Harvest, je nach Spielstil, gern mal 1 Stunde oder mehr in Anspruch nehmen kann.
Fazit:
Iron Harvest kann mit seinem vertrauten und doch unverbrauchten Setting überzeugen. Dazu bekommen wir klassische Echtzeitstrategie der alten Schule. Wenn ringsherum Kugeln durch die Luft sausen und Granaten und Raketen einschlagen, fühlen wir uns positiv an Company of Heroes erinnert. Auch die Kampagne mit ihrer erzählerisch starken Inszenierung sorgt für gute Unterhaltung und macht uns stets neugierig auf den Fortgang der Geschichte.
Leider führen Wegfindungsprobleme und dummes Einheitenverhalten zu nervigem Mikromanagement, das auf den Spielspaß drückt. Aufgrund weniger taktischer Optionen im Kampf und des rudimentären Basisbaus fehlt es Iron Harvest auf lange Sicht zudem an taktischem Tiefgang. Es ist auch bedauerlich, dass Infanterie nur eine untergeordnete Rolle spielt und wir unsere Einheiten kaum weiterentwickeln können. Ebenso gibt es nach der Kampagne nicht mehr viel zu tun, wobei insbesondere der Mehrspielermodus noch stark ausbaufähig ist.